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Autor*in des Beitrags

Dr. Joachim Wutte

Betriebliche Altersversorgung (bAV), Arbeitsrecht

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12.11.25 | Recht | Information

EuGH erklärt Mindestlohnrichtlinie teilweise für nichtig

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 11. November 2025 – C-19/23 die Richtlinie (EU) 2022/2041 über angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union (Mindestlohnrichtlinie) teilweise für nichtig erklärt.

Geklagt hatte das Königreich Dänemark. Es hatte seine Klage vor allem darauf gestützt, dass die EU keine Kompetenz in den Bereichen Arbeitsentgelt und Koalitionsrecht habe, wie Art. 153 Abs. 5 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausdrücklich klarstelle.

Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hat der Klage teilweise stattgegeben. Wegen Kompetenzverstoßes wurden die Kriterien des Art. 5 Abs. 2 Mindestlohnrichtlinie für nichtig erklärt. Darin wurden den Mitgliedstaaten verbindlich Mindestkriterien vorgeschrieben, die diese bei der Ermittlung einer angemessenen Mindestlohnhöhe zu berücksichtigen hätten. Außerdem wurde die Vorgabe für nichtig erklärt, dass bei einer Indexierungslösung zur Höhe des Mindestlohns in den Mitgliedstaaten diese keinesfalls zu einer Verringerung der Mindestlohnhöhe führen dürfe (Art. 5 Abs. 3 Mindestlohnrichtlinie).

Im Übrigen sieht der EuGH keine Kompetenzanmaßung der Richtlinie zum Arbeitsentgelt oder zum Koalitionsrecht und hält die Richtlinie folglich weitgehend aufrecht.

Auswirkung auf das deutsche Recht

Das Urteil hat keine direkte Auswirkung auf das deutsche Recht. Die Mindestlohnrichtlinie von 2022 war und ist nicht die Rechtsgrundlage des Mindestlohngesetzes (MiLoG) von 2014. Die Mindestlohnkommission kann weiterhin unabhängig und nach dem gesetzlichen Kriterium des § 9 Abs. 2 MiLoG nachlaufend gemäß der Tarifentwicklung die Mindestlohnhöhe im Sozialpartnerkompromiss entscheiden.

Der EuGH lässt Art. 5 Abs. 4 Mindestlohnrichtlinie unbeanstandet. Danach „können“ die Mitgliedstaaten für angemessene Mindestlöhne „auf internationaler Ebene übliche Referenzwerte wie 60 % des Bruttomedianlohns und 50 % des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden, verwenden.“ Wichtig ist, dass der EuGH diese Bestimmung deshalb nicht für kompetenzwidrig hält, weil sie gerade keine zwingenden Bestandteile oder eine Harmonisierung des Arbeitsentgelts für die Mitgliedstaaten vorschreibe, sondern die Wahl des konkreten Referenzwertes vielmehr freistelle (Rn. 99 der Urteilsgründe). Der deutsche Gesetzgeber ist also weiterhin frei darin, ob er den Bruttomedianlohn oder den Bruttodurchschnittslohn als Kriterium aufgreifen möchte oder nicht.

Weiterungen im Tarifrecht

Die Mindestlohnrichtlinie enthält in Art. 4 Abs. 2 eine weitere umstrittene Vorgabe zum Tarifrecht: „Darüber hinaus legt jeder Mitgliedstaat, in dem die tarifvertragliche Abdeckung unterhalb einer Schwelle von 80 % liegt, einen Rahmen fest, der die Voraussetzungen für Tarifverhandlungen schafft ... Dieser Mitgliedstaat erstellt außerdem einen Aktionsplan zur Förderung von Tarifverhandlungen. ...“ Der EuGH sieht in dieser Vorgabe keinen Eingriff in das außerhalb der EU-Kompetenz liegende Koalitionsrecht. Dabei unterscheidet er eher gekünstelt zwischen Koalitionsrecht und dem Recht auf Kollektivverhandlungen (vgl. Rn. 109 ff. der Urteilsgründe).

Positiv ist, dass die Mindestlohnrichtlinie dem EuGH zufolge den Mitgliedstaaten gerade nicht vorschreibt, einen höheren gewerkschaftlichen Organisationsgrad von Arbeitnehmern durchzusetzen oder Allgemeinverbindlicherklärungen zu forcieren (Rn. 84 der Urteilsgründe). Die genannten 80 Prozent Tarifabdeckung können somit auch weiterhin allenfalls als unverbindlicher Programmsatz verstanden werden, da sie sonst gegen die negative Koalitionsfreiheit verstoßen würden.

Bewertung

Man hätte sich vom EuGH ein klareres Votum für die Subsidiarität der EU-Gesetzgebung im Bereich des Arbeitsrechts gewünscht. Es wird nicht deutlich genug, dass die EU auch nach dem Verständnis des Gerichtshofs keine Kompetenz in Sachen Arbeitsentgelt und Koalitionsrecht hat. Bei genauerer Analyse der Urteilsgründe zeigt sich zumindest, dass aus der Mindestlohnrichtlinie keine rechtlichen Argumente für gegriffene Referenzwerte angemessener Mindestlöhne (60 Prozent des Bruttomedianlohns) oder eine erzwungene Tarifabdeckung von 80 Prozent folgen. Im Gegenteil wäre die Richtlinie bei harten Vorgaben diesbezüglich kompetenzwidrig und vom EuGH für nichtig erklärt worden.